Regen

Schon den ganzen Tag wälzen sich Wolkenmassen über den Himmel und ein aggressiver Wind peitscht trockene Erde durch die Luft. Alle Oberflächen sind von einer rötlichen Staubschicht bedeckt, das Gras ist gelb und vertrocknet. Seit einem Monat warten die Natur und die Menschen vergeblich auf den Einzug der überlebenswichtigen Regenzeit. In einigen Regionen sind die ersten Todesopfer zu beklagen, viele Stämme haben ihre Dörfer verlassen und suchen nach fruchtbareren Gegenden. Ihre Pflanzen auf den Feldern sind verdorrt, die Brunnen sind trocken.

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Die Alten werden zurückgelassen, sie sind zu schwach um die langen Fußmärsche mitzumachen. Sie sitzen in ihren Hütten und warten auf den Tod. In den Nachrichten werden Bilder von bis auf die Knochen abgemagerten Menschen gezeigt, in einem Interview bittet der Stammesälteste Gott um ein Wunder. Auf welch perverse Art und Weise zwei Welten aufeinander krachen wird hier brutal sichtbar. Das Abendessen genießend kann der Kenianer seinen Landsleuten beim Verhungern zusehen. Unterstützung von der Regierung kommt wenig.

Uhuru hat andere Pläne. Ein neues Eisenbahnnetzwerk für 447.5 Milliarden Keniaschilling (knapp 3.8Mrd Euro) mit der Hilfe Chinas bauen zum Beispiel, und diesen großzügigen Unterstützern eine weitere Möglichkeit zur Ausbeutung dieses Landes geben. China gibt den Kredit, China verarbeitet die Materialien und China importiert die eigenen Arbeiter. Arbeitsplätze für Kenianer wird es wenige geben. Bessere Voraussetzungen im internationalen Handel sind ja eine nette Sache, doch wie so oft ist die Umsetzung fragwürdig.
Uhuru will außerdem alle Schulen Kenias mit Laptops ausstatten. Für einen markanten Anteil an Schülern wird die Freude an den Geräten auf eine Akkulaufzeit begrenzt sein, da das Bild von Kindern beim Unterricht unter Bäumen keineswegs ein verklärt-romantisches Klischeebild ist. Es sponsert China. Das Geld, allen Schülern eine Schule zu bauen und das Stromnetzwerk auszubauen, fehlt wiederum. Der Präsident ist so darauf bedacht, dieses Land zu „entwickeln“, dass er dabei gerne auf die Armen vergisst. Wenn man will, kann man hier ein Leben auf österreichischen Standard leben, es gibt ja alles, so ist es nicht. Doch dazu hat nur ein minimaler Prozentsatz der Bevölkerung Zugang, und das macht Kenia zu einem Entwicklungsland.

Dass Uhuru Kenyatta all das nicht sieht ist zweifelhaft. Geldgier und der Eigennutzen machen ihn blind. Geld ist ein gefährliches Mittel, schon sehr kleine Beträge machen viele Leute taub, blind und stumm. Das beginnt ganz unten und zieht sich bis hinauf zum Präsidenten. Manche Situationen sind fast amüsant, wie es in Kisumu unter den Kleinbusfahrern zum Beispiel üblich ist, an Straßensperren einfach hundert Schilling aus dem Fenster zu werfen, um so von den Polizisten nicht einmal gestoppt zu werden. Weniger amüsant ist, wenn diese Fahrer dann zwei Kilometer weiter mit ihren schrottreifen Fahrzeugen Unfälle verursachen, in denen Todesopfer zu beklagen sind.

Auf den Ämtern gibt es zwei Möglichkeiten, man verfolgt entweder den langwierigen und zeitaufwendigen Prozess der Bürokratie, ein Gelingen nicht garantiert, oder man trifft die richtige Person, zahlt „Kitu kidogo“ – eine Kleinigkeit – und hat eine Woche später das gewünschte Dokument. Die passende Summe lässt die Akten von Vergewaltigungsverfahren verlorengehen, spricht Mörder frei und ändert Gesetze kurzweilig. Wie allgemein bekannt, wandert finanzielle Unterstützung anderer Länder nicht selten in die Tasche der Politiker und große Geldsummen verschwinden immer wieder spurlos. Wer jedoch offen gegen mächtige Personen vorgeht, wird falls erfolgreich früher oder später in einem Unfall ums Leben kommen oder von Unbekannten ermordet. Was klingt wie ein Krimi ist traurige Realität.

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Aber vergiss doch diesen ganzen Mist, man hört schwere Tropfen aufs Dach fallen. Es hat zu regnen begonnen! Bald schon macht der ohrenbetäubende Lärm, mit dem der Regen auf die Blechdächer knallt, jede Unterhaltung unmöglich. Überall bilden sich kleine Bäche und Seen, die Luft ist nass und frisch. Der Niederschlag dauert etwa fünfzehn Minuten, dann geht der Regen in Nieseln über und der Horizont ist klar und wolkenfrei. Kanister werden unter Dachrinnen gestellt, und während sie sich mit dem Regenwasser füllen, bestaunt jeder den eindrucksvollen Sonnenuntergang. Der gesamte Himmel steht in Flammen, das orangerote Licht der verschwindenden Sonne reflektiert sich in den Wolken und taucht die Welt in einen feurigen Schein. Die Natur prahlt mit ihrer Schönheit und Gewalt. Ich wünsche mir, dieser Moment möge für immer bestehen bleiben, doch noch bevor ich zu Ende gedacht habe, ist die Sonne hinter den Bergen versunken.

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Es beginnt zu dämmern und ich gehe zu den naheliegenden Geschäften, um Milch zu kaufen. Der Weg ist voll mit Pfützen und immer noch fällt leichter Nieselregen. Die Luft ist fast schwarz, tausende Termiten tummeln sich in ihr, sie sind groß und prallen mir immer wieder ins Gesicht. Man sieht Menschen mit Glühbirnen, sie locken die Insekten, für manche ein deliziöses Abendessen. Ein wenig weiter wird ein Schaf gegrillt, ein rauchig-würziger Geruch steigt mir in die Nase. Die Stimmen sind gedämpft und begleitet vom Murmeln des Regens, man spürt die Erleichterung eines jeden Lebewesens, das Aufatmen der Pflanzen.

Immer wieder besticht die Natur Kenias mit ihrer Extravaganz und schafft diese magischen Momente, die keiner zerstören kann, weder Hunger, noch Armut, Korruption oder die Ausbeutung durch andere Länder.

Text und Fotos von Sarah Maringer
Beitrag #01 – Fremde Welt
Beitrag #02 – Armut

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