Popmusik hat in Österreich keinen Wert und keine Geschichte.

Interview mit Velojet.

Wir haben uns einen Haxen ausgefreut, als wir gehört haben, dass Velojet zur Saisoneröffnung ins OKH kommen. Natürlich wollten wir ein Interview machen. Haben wir auch. Allerdings wurde daraus mehr als ein bisschen Smalltalk über das aktuelle Album „Panorama“. Lange haben wir über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der österreichischen Popmusik und die Krux mit der Industrie und der Obrigkeit gesprochen. Ein paar Tage später passierte dann Elke Lichtenegger. Grund genug, ein paar Fakten klarzustellen. Zum Beispiel, dass Bryan Adams besser von Ö3 leben kann als jeder heimische Künstler es jemals können wird. Bäm.

Velojet_OKHopening_KarinHackl08
OKH-Vöcklabruck

„Könnt ihr von eurer Musik leben?“ Die vier schauen sich gegenseitig an und lachen laut. Heißt nein. René Mühlberger, Marlene Lacherstorfer, Lisi Neuhold und Michael Flatz-Lind sind als Velojet eine der erfolgreichsten Indie-Bands aus Österreich. Brotjobs haben sie trotzdem alle, ihre Leidenschaft zur Musik leben sie gezwungenermaßen so nebenbei als Hobby aus. Weil es nicht anders geht. Weil die Wertschätzung für Popmusik hier größtenteils fehlt. Weil es mehr Hürden als Hilfen gibt. Weil es eh einmal den Falco gab. Und den Mozart. Das muss reichen.

Dennoch sind sie mittlerweile seit zehn Jahren dabei. Das im Oktober letzten Jahres erschienene Album „Panorama“ ist ihr viertes seit der Bandgründung. Es klingt ein bisschen anders als die Vorgänger, aber trotzdem sehr nach Velojet. Die Songs sind Synth-basiert, die Gitarren spielen weiterhin eine wichtige Rolle. Die 60ies-Retro-Affinität kommt permanent durch, dabei sind zum ersten Mal auch ein paar dominante elektronische Spielereien zu hören. Der Sound scheint irgendwie ein bisschen verstrickter, ernsthafter, anspruchsvoller. Velojet haben sich für „Panorama“ Zeit gelassen, das merkt man. Es kam auch durchwegs gut an. Bei der Album-Präsentation im Rahmen des Waves Vienna Festival war die Fluc Wanne bummvoll, in Österreich sind ihre Konzerte sowieso meistens ausverkauft. Es kennt sie ja auch jeder. Auf FM4 sind sie fast schon resident artists, haben massig Airplay und sind mit ihren Singles in den Indie-Charts immer vorne dabei. Klingt doch eh superglamourös. Nah, nicht so ganz.

Kein Luxus, Baby

Velojet sind vor allem mit der staatlichen (Nicht-)Unterstützung unzufrieden. Es gibt im Gegensatz zu anderen Ländern kaum Förderungen für die heimischen Musikschaffenden und ein Album zu machen und aufzunehmen, die nachfolgende Tour, gerne außerhalb von Österreich, man will ja auch expandieren, ist immer wieder eine finanzielle Herausforderung sondergleichen. Übrig bleibt da nicht so viel. Beziehungsweise wird das, was sonst eventuell übrig bleiben würde, sofort wieder in die Musik investiert. Luxusleben führen sie jedenfalls keines. Genauso wenig wie die Kollegen von Mile Me Deaf, Gin Ga, Fijuka, Garish, 5/8erl in Ehr’n und der Großteil der weiteren Musikerinnen und Musiker, die Walter Gröbchen letztens, also post-Lichtenegger, in einer Liste auf seinem Blog erwähnt hat. Dabei ging es übrigens um die Ö3-Tauglichkeit der Austro-Bands. Aber Formatradio, Hitradio, die Hörer wollen keine österreichische Musik hören, die Künstler sind zu schlecht und nicht massentauglich genug, bla bla bla. Die ewige Leier. Velojet und Co. kennen das. Wir auch.

Aber Moment jetzt mal. Es ist natürlich nicht so, dass sie allen wurscht ist, die österreichische Popmusik, nein. Es gibt eben FM4, es gibt das mica, es gibt Labels wie ink.music, Siluh Records, monkey music und Seayou Records mitsamt den wunderbaren und engagierten Menschen, die dahinter stehen. Es gibt The Gap, mittlerweile auch Noisey Alps, den Falter, das Popfest, das Donaukanaltreiben, und so weiter. Eh. Es gibt auch eine große Szene von Musikschaffenden, die befreundet sind, sich unterstützen und sich untereinander vernetzen. Ja, innerhalb der eigenen Szene. Thomas Weber, Herausgeber von The Gap, kritisierte genau das in seinem aktuellen Leitartikel und berief sich dabei auf eine Anfang Mai erschienene FAS-Netzwerkstudie zur heimischen Kreativwirtschaft. Die Vernetzung mit anderen Kreativen könnte eine Lösung sein, Stichwort Co-Working Spaces. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Velojet_OKHopening_KarinHackl04
OKH-Vöcklabruck

Wir wollen ja nicht sudern

Wir wollen hier nicht mehr auf die Causa Lichtenegger eingehen, das haben unter anderem die Kollegen Hannes Tschürtz (ink.music), Jonas Vogt (Noisey) und Gerhard Stöger (Falter) schon gemacht. Außerdem, don’t shoot the messenger und so. Ein Schwächeanfall reicht. Wir haben aber immerhin mit einem gegenüber den heimischen Musikschaffenden leider sehr verständnisresistenten und verschwörungsgläubigen Armin Wolf auf Twitter gestritten. Weil seine zynischen Bemerkungen diesbezüglich nicht unkommentiert an über 109.000 Follower gesendet werden dürfen. Because we care.

Wir wollen auch nicht wieder über die Amadeus Awards herziehen, die letztens im Volkstheater verliehen wurden, aber schon im Vorfeld von unfassbar viel Kritik überschattet worden waren. Von HVOB, Monobrother, Naked Lunch (deren Name in der Nominiertenliste nicht nur mit einem Typo versehen war, sondern sich auch noch in der Rubrik „Rock/Hard’n'Heavy“ befand) und Nazar, die diese „Anerkennung“ dann größtenteils nicht mehr haben wollten. Den FM4-Award gönnen wir den großartigen Bilderbuch aber von ganzem Herzen. Bravo, wirklich. Aber ja, wir verstehen auch beim Thema Amadeus Awards vieles nicht, wollen uns aber trotzdem an Zahlen und Fakten halten. Weil sie eh Bände sprechen.

Die Fakten

Ö3 hat eine gesamte Tagesreichweite von 36,6 Prozent. In der werberelevanten Zielgruppe (bei den 14- bis 49-Jährigen) sind es sogar 45,9 Prozent. Ö3 erreicht also fast 50 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher. Der Anteil der österreichischen Interpreten und Produktionen lag im Juli 2013 bei schwachen 6,82 Prozent. Das heißt, dass die restlichen 93,18 Prozent nicht-österreichisch waren und somit als Tantiemen ins Ausland wanderten. (Im Jahr 2010 waren es immerhin noch 13,7 Prozent Österreich-Anteil.) Das macht den heimischen Markt natürlich total kaputt. Es kommt aber noch schlimmer. Im Jänner und Februar 2014 lag der Anteil von Ö-Musik auf Ö3 bei unglaublichen 4 Prozent. Bäm. Wo wir wieder bei Bryan Adams und seinem Dauerbrenner „Summer of ’69“ wären. Der Glückliche.

Wir sehen ein, dass manche Songs nicht zu Ö3 passen, klar. Es würde wahrscheinlich auch so manchen Hörer aus seinem passiven Hintergrundgeräusch-Trott reißen, wenn zwischen Nickelback und Avicii plötzlich eine Gustav oder ein Cid Rim hervorblitzen würden. Wobei, was würde passieren? Raserei, Kindergeschrei, Mord und Totschlag? Vielleicht. Aber Aufmerksamkeit zum Beispiel und Aufmerksamkeit ist eigentlich gut.

Schön, wir verlangen vielleicht zu viel. Wie wäre es mit einer Sendung, sagen wir ein, zwei Stunden in der Woche, wenn es geht, nicht zwischen 2.00 und 4.00 in der Früh, in der österreichische Künstler abseits von Christina Stürmer und Julian Le Play vorgestellt werden? Eine kleine Wertschätzung. Wir lassen das einmal so stehen.

Der sogenannte Jugendsender FM4 verzeichnete im zweiten Halbjahr 2013 eine konstante Tagesreichweite von 3,5 Prozent. Sein Anteil an österreichischer Musik beträgt allerdings 25,09 Prozent. Ja.

Der Vollständigkeit halber wollen wir auch noch das tolle Informations- und Kulturradio Ö1 erwähnen, das sich mit einer Tagesreichweite von 8,8 Prozent und einer Quote von über 40 Prozent österreichischer Interpreten und Produktionen durchaus sehen lassen kann. Das ist aber dann wohlbemerkt keine Popmusik, sondern Klassik. Auch super, eh. Dazu muss aber auch gesagt werden, dass aus dem gesamten Musikfördertopf 95 Prozent an klassische und nur 5 Prozent an zeitgenössische Musikschaffende gehen. Aber Äpfel und Birnen. Wir wollen hier keinesfalls hussen.
Soviel dazu.

Velojet_IV_KarinHackl03
OKH-Vöcklabruck, Terrasse

Das Interview mit Velojet

Ich habe euch in einem Artikel einmal als Veteranen des Austro-Indie bezeichnet. Kann man das sagen? Obwohl ihr erst seit zehn Jahren dabei seid?

Marlene: Doch, ja. Man muss aber dazusagen, dass es, als wir angefangen haben, sonst nicht viel gegeben hat. Wir hatten echt eine Zeit lang das Gefühl, als wären wir die einzige Band. Dann sind ein paar nachgekommen, es gab eine kleine Szene und mittlerweile ist die riesig. Es gibt schon so viele, die wir gar nicht mehr kennen.

Letztes Jahr kam es mir vor, als würde jede Woche eine neue Indie-Band aus dem Boden schießen. Wie habt ihr das erlebt?

René: Ja, undurchsichtig irgendwie. Das ist die neue Generation. Die Bands haben auch immer einen ähnlichen Sound. Synth-basiert, viel mit Computer. So haben wir nicht angefangen. Bei uns war alles noch anders. Da ist man ins Studio gegangen für zwei Wochen und hat ein Album aufgenommen, das klingen sollte wie live.

Marlene: Was jetzt schon lange nicht mehr so ist.

René: Jetzt ist es umgekehrt. Jetzt versuchen Bands so zu klingen wie auf der gut produzierten Platte, was Vor- und Nachteile hat. Wir haben uns da ja auch weiterentwickelt. Ich bin jetzt auch ein bisschen auf den Computer umgestiegen. Es ist schon brutal.

Marlene: Der René hat bis vor einem Jahr keinen Laptop gehabt.

René: Ja, Digitalzeitalterverweigerer. Ich hab immer nur auf Kassette aufgenommen. Das ist immer schneller gegangen.

Marlene: Weil du gefragt hast, wie wir das erlebt haben mit den Indie-Bands. Ich finde, dass es gerade in den letzten Jahren einen extremen Sprung gegeben hat bei österreichischen Bands. Die Bands haben sich auch gegenseitig gepusht. Jede Band ist besser geworden, dadurch sind auch die anderen besser geworden. Das ist schon gut für die Szene.

René: Ich bin der Meinung, dass das Level der österreichischen Bands sehr hoch ist, aber dann gibt es halt doch viele Länder, in denen die Infrastruktur einfach viel besser entwickelt ist, in denen es Förderungen gibt. Das merkt man schon bei manchen Bands, dass die einfach noch einmal professioneller sind.

Marlene: Schweden, Dänemark, Belgien.

René: BRNS, eine unserer Lieblingsbands, die kriegen eine Förderung, bei der jeder Musiker 1.200 Euro im Monat kriegt. Und das jahrelang.

Lisi: Dadurch, dass sie die Mittel haben, können sie sich natürlich auch Zeit nehmen. Ich hab gehört, dass schwedische Bands für jedes Auslandskonzert einen Tausender bekommen. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber wenn das nur ein bisschen so ist – das kann man nicht vergleichen mit Österreich.

Es wird teilweise etwas gemacht. Man denke an den Österreich-Fokus beim Eurosonic dieses Jahr. Man hat das Gefühl, dass man doch Aufmerksamkeit für österreichische Bands generieren will, aber doch nicht viel Unterstützung kommt. Stattdessen steigt der ORF aus dem Musikfonds aus, etc.

Marlene: Das mit dem Österreich-Fokus war ja auch nur, weil das mica so super ist. Weil die alle Mittel zusammengekratzt haben, weil sie sich gedacht haben, es gibt gerade so viele Bands, was ja auch stimmt. Aber von oben kommt halt leider nicht so viel Unterstützung.

René: Und das führt meiner Meinung nach auch dazu, dass Bands Konzerte spielen, für die die Gagen im Ausland sehr niedrig sind und sich dadurch nicht wirklich damit beschäftigen können, dass sie gescheit aufnehmen, weil die Kohle fehlt. Es ist ja bei uns auch so. Man zahlt die Platten ab mit der Tour, wenn überhaupt. Es steckt privates Geld drinnen. Im Endeffekt wollen wir schon wieder Demos machen, was aber nicht geht, weil wir noch 30 Konzerte haben, was einerseits super ist, andererseits ist man dann musikalisch wieder hinten oder hat die Zeit nicht. Wenn wir eine Förderung kriegen würden und nicht nebenbei noch hackeln müssten, dann könnte man viel schneller und zeitgemäßer arbeiten.

Ihr könnt also nicht von der Musik leben.

(Alle lachen.)

Michi: Früher war es vielleicht etwas besser, aber ausgegangen ist es sich nie.

Marlene: Wir waren halt früher eine von fünf Bands, die immer gespielt haben, da ist schon was übrig geblieben.

Michi: Früher haben wir auch viel billiger aufgenommen.

Man ist gezwungen, dass man Prioritäten setzt. Erst viel auftreten und dann erst wieder aufnehmen.

René: Man merkt das, wenn man unterwegs ist. Man kommt vom aktuellen Programm kaum los, man kann irgendwie keine neuen Songs schreiben. Es ist immer leichter, wenn einmal zwei Monate keine Konzerte sind, dann ist man ganz woanders im Kopf. Wir haben das Glück, dass uns das neue Programm von der „Panorama“ ziemlich taugt. Wir haben das Gefühl, dass jedes Konzert besser wird, die Songs sind ja auch eher anspruchsvoll zu spielen.

Marlene: Es ist auch viel freier und spontaner als früher. Wir haben während der Aufnahmen ein Jahr lang nicht live gespielt und dadurch Zeit gehabt, uns zu überlegen, was wir jetzt überhaupt machen wollen.

Velojet_IV_KarinHackl02
OKH-Vöcklabruck, Terrasse

Rentiert sich eine Tour finanziell?

Marlene: Kommt darauf an, wo. In Österreich oder im Ausland?

Beides.

René: Im Ausland rentiert es sich nicht.

Marlene: Wir spielen in Österreich, damit wir uns das im Ausland leisten können.

René: Also, wir zahlen nicht drauf im Ausland, so ist es nicht. Wobei, ich mach die Rechnungen nicht. (Alle lachen.) Im Moment ist es ein teures Hobby. Alles, was bei mir reinkommt, investiere ich auch wieder in Geräte. Das macht eh Spaß, die Sachen hat man ja dann, aber es ist trotzdem für die Band, mehr oder weniger.

Marlene: Das ist wohl auch ein Grund, warum die österreichischen Bands nie wirklich ins Ausland schauen, weil das muss man sich leisten können.

Wie schaut es mit Förderungen aus, wie kriegt man die?

Marlene: Also, in Österreich gibt es zwei große Stellen, den Musikfonds und den SKE Fonds und dann noch ein paar andere kleine Anstalten. In anderen Ländern gibt es keine Ahnung wie viele.

René: In Österreich ist das Problem, dass die Popmusik…

Marlene: …nicht hoch geschätzt wird.

René: Sie hat keine Geschichte.

Marlene: Österreich hat das Musik-Business nie als Business erkannt.

René: Bis auf die Mozartkugeln gibt es eigentlich keine Exportartikel. Ein Witz eigentlich.

Marlene: Es hat im Pop nie jemanden gegeben außer den Falco.

René: Und den Mozart halt.

Marlene: Ja. Und darauf beruht man sich dann irgendwie ewig. Man hat den eh einmal gehabt.

René: Die Austropop-Liga war schon groß.

Marlene und Lisi: Ja, in Österreich.

Velojet_IV_KarinHackl01
OKH-Vöcklabruck, Terrasse

Ihr habt also lange Zeit gehabt für das neue Album. Es ist ein bisschen anders, grundsätzlich seid ihr eurem Stil aber treu geblieben. Bewusst?

René: Nein, gar nicht. Wir haben das andere einfach nicht drauf gehabt und es hat uns auch nicht interessiert. Unser Produzent war auch eher nicht so von der neuen Schiene, der kommt auch aus der Analogabteilung. Das war eine super Kombi, weil wir uns da blind verstanden haben. Aber ich stell mich da sicher nicht dagegen. Der Findungsprozess wird halt immer länger, je mehr Platten man macht und je mehr Möglichkeiten es gibt mit Equipment. Das ist gut und schlecht.

Gibt es ein Hippie-Denken in der Szene? Ist man noch befreundet oder schon total individualisiert?

René: Bei den Musikern wird es wieder viel mehr. Aber beim Publikum hab ich das Gefühl, dass es eher ins Gegenteil umschlägt. Jeder schaut, dass er super dasteht, cool ausschaut beim Tanzen. Die Leute haben auch manchmal sehr viel Angst bei Konzerten. Die sieht man ihnen teilweise an, wenn man vorhat, runterzugehen ins Publikum. Das ist in Österreich viel ärger als irgendwo anders.

Wie wichtig ist FM4?

René: Für uns sehr wichtig, weil es ein super Promo-Tool ist. Es ist leichter, Konzerte zu kriegen, wenn man eine Single hat, die auf FM4 viel gespielt wird. Irgendwie passen wir auch gut rein in dieses FM4-Programm, wir fühlen uns da schon wohl. Ich kenne auch keinen anderen Sender, zu dem wir besser passen würden. Wobei es ja auch relativ wurscht ist, wo man läuft. Wäre eh interessant, wie es ohne FM4 wäre. Noch viel schwieriger, überhaupt Festivals zu machen. Wahrscheinlich würde es dann nur mehr diese Riesenfestivals geben, die eh alle immer dieselben nicht-österreichischen Bands haben, weil etwas anderes wollen die Leute ja nicht hören.

Marlene: Genau wie bei Ö3. Das ist das große Drama in Österreich eigentlich.

René: Man muss sich klar vor Augen halten, dass zum Beispiel Bryan Adams „Summer of 69“ seit 1987 täglich läuft und ich weiß, wie hoch die Tantiemen sind auf Ö3 pro Minute. Ich sag einmal, der Bryan Adams könnte ein normales Leben leben nur mit Ö3. Das ist ein Wahnsinn, kein österreichischer Musiker kann von Airplay leben. Bryan Adams könnte davon leben, alleine mit Ö3.

Michi: Und jeder österreichische Musiker muss zumindest einen Brotjob haben.

Man muss es vor allem auch vereinbaren können.

Marlene: Genau. So viele Jobs gibt es jetzt auch nicht, die so flexibel sind.

René: Die meisten Musiker, die wir kennen, leben halt doch am Existenzminimum. Das macht man dann so lange, wie es geht, aber spätestens, wenn man ein Kind hat oder irgendwo Kohle braucht, dann wird das nicht mehr gehen. Und das ist schrecklich.

Marlene: So ist das in Österreich. In anderen Ländern ist das zum Teil schon anders. In Frankreich zum Beispiel, da ist die Franzosen-Quote im Radio 60 Prozent.

Rene: In Italien ist sie irgendwas bei 80 Prozent. Die spielen fast nur eigene Sachen. Würden unsere Singles auf Ö3 laufen, würden wir drei Mal so viel bekommen. Natürlich ist FM4 die bessere Basis für die Musik, weil es die richtigen Hörer hat, aber auf der anderen Seite kriegt man halt weniger Geld dafür. Das ist ein komisches System.

Marlene: Es müsste einfach andere Leute geben auf Ö3, die ein bisschen weiter denken.

Lisi: Sie lassen den Hörern keine Wahl. Ich kann ja nicht von Vornherein davon ausgehen, dass österreichische Musik niemanden interessiert. Das ist immer eine Erziehungsfrage. Wenn die Leute keine Chance dazu bekommen, sich einen musikalischen Horizont woanders einzurichten – woher dann? Radio hat ja auch einen Bildungsauftrag.

Vor allem, wenn es öffentlich-rechtlich ist.

Lisi: Und der Bildungsauftrag wird meiner Meinung nach einfach nicht wahrgenommen. Es gibt so eine große Vielfalt in der österreichischen Poplandschaft, dass man ja nicht sagen kann, nein, das ist nichts für die breite Masse. Da wäre ja für jeden etwas dabei.

René: Zum Teil sind die Leute halt auch selber schuld. Wenn es eine Band gibt, die plötzlich in Deutschland einen Hit hat, wie jetzt Bilderbuch, dann findet sie auf einmal jeder gut. Der Minderwertigkeitskomplex ist immer noch so groß in Österreich, dass sich keiner sagen traut, hey, die sind einfach leiwand, ohne, dass sie schon einen Hit gehabt haben.

Marlene: Solange man in Österreich ist, sagt man, es ist super, es gibt eine Szene, es gibt FM4. Wenn man dann aber näher hinschaut und von außen auf Österreich schaut, dass es großflächig gesehen nur im selben Sud brät und die Szene mini ist, dann sieht man das bald ein wenig anders.

René: Da geht es ja nicht nur um den Indie, sondern auch Mainstream-Bands zerbrechen. Selbst Russkaja, die ja sehr erfolgreich sind, haben eigentlich nach acht, neun Jahren fertiggespielt in Österreich. Eigentlich. Man kann natürlich noch ewig spielen, aber irgendwann ist es dann vorbei, wenn es nicht exportiert worden ist. Selbst auf dem Level schafft man es nicht, sich etwas auf die Seite zu legen.

Marlene: Aber wer soll sich auch um diese Dinge kümmern?

René: Das Problem ist auch, dass Nicht-Musiker sich für die Belange von Musikern nicht interessieren. Was interessiert es einen Nicht-Musiker, dass bei Spotify unter 100.000 Plays nichts abfällt, das interessiert ja niemanden, das ist dann das österreichische Gesudere. Ich versteh es ja auch. Mich fragen die Kinder sogar in der Schule als Musiklehrer, ob ich auch einen Job habe. Musik ist bei uns einfach nichts wert im Gegensatz zu Frankreich oder Italien.

Marlene: Popmusik ist nichts wert.

René: Solange sich da oben nichts tut bezüglich Förderungen, kann eh niemand etwas machen. Kein Label, nix.

Marlene: Es kann sich ja da keiner gratis reinhängen.

René: Private Investition ist die einzige Möglichkeit. Das funktioniert dann auch. Es geht nicht ohne Investment. Das weiß aber keiner. Jeder glaubt, man hat einen Hit, den man eh hat, aber man muss trotzdem noch einen Haufen Kohle in die Hand nehmen, damit irgendwas passiert. Man muss sich ständig fragen, warum mache ich das eigentlich gerade. Die Sachen, die am besten bezahlt werden, sind halt leider selten die besten Konzerte. Festivals sind gut bezahlt, aber 3.000 Leute sitzen währenddessen lieber auf dem Zeltplatz und besaufen sich. Eh super, macht ja auch Spaß. Ich seh schon die Headline.

Marlene: Velojet – Saufen macht Spaß!

Sind Airplay und Tantiemen-Zahlen transparent?

René: Es gibt bestimmt auch bei Ö3 irgendwelche inoffiziellen Zahlen und dann braucht man es sich nur ausrechnen. Das ist ja nicht top secret, ich meine, man hört es ja jeden Tag, man könnte auch selber ein Jahr lang zählen. (Alle lachen.) 300 Mal „Summer of 69“. Aber es ist halt so frustrierend und als Musiker will man sich nicht die ganze Zeit mit Frustration beschäftigen. Das macht ja unkreativ, das ist vernichtend. Man hat schon diesen Traum vom großen Hit. Einen Song für sich selbst zu schreiben, ist schön, aber natürlich ist es super, wenn der nach außen kommt und mitgesungen wird. Wie wenn man einen Witz erzählt und die Leute lachen.

Der Sell-Out-Vorwurf ist ja dann auch immer sehr schnell da. Bei Bilderbuch kann das nicht mehr lange dauern.

René: Ja, voll. Sobald Deutschland aufspringt, geht das. Aber wir haben ein bisschen einen anderen Anspruch an unsere Musik. Es gibt Bands, die gewisse Musikalität oder Sounds und Akkorde oder Texte aus etwas Nationalem bauen, wie Kreisky oder Ja, Panik, alle deutschsprachigen Bands einmal. Dann Attwenger, die natürlich bei den Sounds und der Instrumentierung sehr national angelehnt sind. Wir machen das ja alles nicht.

Macht es das leichter oder schwerer?

Marlene: In Österreich schwieriger, international, wobei es darauf ankommt, wo man hinwill, leichter. Theoretisch zumindest.

René: Wir haben in Malaysien zum Beispiel einmal eine Zeit lang mehr Fans gehabt als in Deutschland. Das sind Leute, die sind auf irgendeinem Blog draufgekommen und die sind wirkliche Fans. Die schreiben einen an. Von daher ist es schon cool, wenn man englischsprachig unterwegs ist. Aber es gibt natürlich auch einige Bands, die bewiesen haben, dass das auch mit deutschen Texten geht. Falco?

Tokio Hotel.

Marlene: Erst gestern haben wir von denen geredet. Irgendwer hat gesagt, die wohnen in L.A. und schauen aus wie Gangster.

„Panorama“ von Velojet ist bereits via Schönwetter Schallplatten erschienen.

 

Interview von Nicole Schöndorfer
Fotos von Karin Hackl

 

Links:

Velojet
http://velojet.com/

Walter Gröbchens Blogeintrag
http://groebchen.wordpress.com/2014/04/23/unerhort-2/

Thomas Webers Leitartikel
http://www.thegap.at/meinung-stories/artikel/gemeinsam-sind-wir-stark-ausser-die-musikbranche/

FAS-Netzwerkstudie zur Ö-Kreativwirtschaft
http://www.creativwirtschaft.at/aktuelles/78946

Hannes Tschürtz zur Causa Lichtenegger
http://derstandard.at/1397521306617/Das-Lichtenegger-Syndrom

Jonas Vogt auch
http://noisey.vice.com/alps/blog/das-wirkliche-problem-mit-oe3

FacebookTwitterEmail