Fremde Welt

Afrika – Sonne, Hitze, ungezähmte Natur, Löwen, Savanne, Frauen, die schwere Lasten auf ihrem Kopf und die Kinder auf dem Rücken tragen, Lebensfreude, anderer Umgang mit der Zeit, Armut, verhungernde Kinder, „Unterentwicklung“, Kriminalität. Ein paar der Klischeevorstellungen, die sich irgendwie auch in meinem Kopf festgesetzt hatten, bevor ich nach Kenia kam.

Als ich dann landete hatte es frische 15°C, der Himmel war grau verhangen und stand Österreich im tristen November um nichts nach. Wir wurden von einem Taxi vom Flughafen abgeholt und krochen im zähen Verkehr durch Nairobi, in dem sich Leute in Anzügen und Kostümen hektisch, das Telefon ans Ohr gepresst, aneinander vorbeidrängten. Nicht sehr viel Unterschied zu einer europäischen Großstadt. Die Vorstellung, in eine völlig fremde Welt einzutauchen – erst einmal zunichte gemacht.

Und trotzdem war alles so anders. Kaum Gehsteige, die Stadt so zugemüllt, die Straßen oft in schrecklichem Zustand. Schmutzige Leute in zerrissenen Kleidern auf den Rasenfleckchen am Straßenrand schlafend. Hundert Meter weiter ein neues, modernes Hochhaus. Armut und Reichtum Hand in Hand. Diesen krassen Gegensatz so offensichtlich und unvermittelt wahrzunehmen, hatte ich nicht geglaubt. Der Kulturschock traf mich voll. Ungläubig machte ich mir Gedanken darüber, wie wohl mein eigentliches Ziel, Eldoret, aussehen sollte, wenn Nairobi nun die größte Stadt und am meisten entwickelt sei. Auf der anderen Seite fand ich es cool, neben der Autobahn im Staub entlangzuschlendern. Oder einfach über die Straße zu gehen, wo immer man will. Fasziniert beobachtete ich den Verkehr, der auch ohne Ampeln oder jegliche andere Regelungen zu funktionieren schien. Die Busse, die selbstverständlich aus der Spur ausbrechen,  über Gras oder Gehsteig dem Stau zu entkommen und ihr Ziel schneller zu erreichen versuchen und dabei erst recht Chaos verursachen. Die Matatus (Kleinbusse, öffentliche Verkehrsmittel) mit halsbrecherischem Fahrstil. Ohne Helm hinten auf einem Motorrad.

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Eldoret dann viel kleiner, mit weniger asphaltierten Straßen, und die waren auch oft schon mehr Schlagloch als Asphalt. Die Häuser in manchen Gegenden größenmäßig oft nicht einmal äquivalent zu einem Gartenhäuschen. Dass ich aber auch im Ghetto Eldorets angekommen war, wusste ich da noch nicht. Die Häuser dicht aneinandergedrängt und die ganzen kleinen schmalen Wege mit viel Verlaufpotential. Ich brauchte drei Wochen, bis ich mich traute, in ein Matatu zu steigen, davor ging ich immer zu Fuß in die Stadt und wagte mich nicht weiter als bis zu „Nakumatt“, dem größten und sehr westlichen Supermarkt in Eldoret, das zu Beginn noch sehr verwirrend auf mich wirkte. Ich hatte weder eine Ahnung, wo ich in den Kleinbus einsteigen, noch wo ich aussteigen könnte und wie ich das dem Fahrer klarmache, wo ich doch kein Kiswahili sprach. Dann das erste Mal in einem Matatu – der Staub kam durchs Fenster herein, die laute, rhythmische Musik ließ mich aufgekratzt werden – erfasste mich plötzlich ein unendliches Hochgefühl, plötzlich war ich angekommen und eingetaucht in die völlig fremde Welt. Ich sah die Leute ihre Ware auf Plastikplanen am erdigen Boden feilbieten und wild durcheinanderschreien, alte Frauen mit bunten Tüchern um ihre breiten Hüften riesige Bündel mit Feuerholz und Säcke mit Gemüse oder Kleidung auf ihren Köpfen tragen. Alles war aufregend, alles war neu.

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Heute verstehe ich nicht mehr ganz, was Eldoret am Beginn unübersichtlich gemacht hat. Die Stadt ist echt klein und man findet sich sehr schnell zurecht. Nairobi ist mir oft zu westlich mit den „richtigen“ Geschäften anstatt der Stände, in denen alles draußen hängt und wo man über die Preise verhandelt. Ich bemerke nicht, ob ich auf Asphalt oder auf Erde laufe, und der Müll in den Straßengräben fällt mir nicht mehr auf. Die Häuser, deren Größe – beziehungsweise Kleinheit – mich Anfangs geschockt hat, finde ich völlig ausreichend und ich frage mich oft, wofür man in Österreich den ganzen Platz braucht. Ich verstehe Kiswahili und kann mich gut verständigen, vor allem weiß ich endlich, was die Menschen so über mich reden. Ich kenne alle Abkürzungen und Schleichwege, habe meine Lieblingsverkäufer, die mich nicht mehr belügen, was die Preise betrifft, und treffe Bekannte und Freunde auf der Straße. Die Armut schockt mich nicht mehr so sehr, man gewöhnt sich sehr schnell daran. Ich kann die Schönheit vieler Sachen unter ihrer Staub- und Müllschicht erkennen. Ich erlebe die Klischees, so wie sie erzählt werden und doch ganz anders. Die Unterschiede zwischen unseren Kulturen sind mir bewusst geworden, aber auch, dass wir uns im Endeffekt nicht so sehr unterscheiden, wie man glauben möchte. Immer wieder offenbaren sich mir neue Geheimnisse. Auch nach sieben Monaten in diesem Land kann ich nicht im Geringsten sagen, es zu kennen.

Kenia ist voller Gegensätze und Faszinationen. Und es gibt sich einem Fremden nicht leichtfertig preis.

Text und Fotos von Sarah Maringer
Beitrag #02 – Armut

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