Und die Show geht weiter

Als Fiva’s Band endlich zu spielen beginnt, hüpfen wir auf und lauschen erwartungsvoll den Klängen. Nina Fiva Sonnenberg ist eine flitzfröhliche Rapperin, ihre Texte strotzen nur so vor Freude und Sonnenschein. Meinen Geschmack trifft das nicht ganz, ich mag es, wenn ein Tropfen Protest in Raptexte sickert, aber mir gefällt ihre Musik. Fiva springt auf die Bühne, grinst, und ruft etwas in die Menge. Voller Enthusiasmus. Bunte Lampen leuchten abwechselnd auf, Rot, grün und gelb, im Hintergrund ein schwarzer Vorhang mit einem aus Rauten bestehenden Fiva-Schriftzug. Wir wippen im Takt, vielleicht tanzen wir an dieser Stelle schon, es spielt keine große Rolle.

Sie spielen Lied um Lied, acht Titel insgesamt, beim vierten kündigt sie die Halbzeit an und eine der Freund_innen, mit denen ich hier bin, sieht mich an. “Wir müssen jetzt gehen”, sagt sie, oder zumindest so etwas ähnliches, ich kann ihre Worte inmitten der dröhnenden Musik nicht ganz genau verstehen. Wir nehmen uns in die Arme, ich drücke sie fest an mich, wie ich es immer tue, und grinsen trotz des Abschieds. Die laute Musik verleiht dem Augenblick das Herzklopfen. Auch ihn, der hinter ihr steht, umarme ich, und er wünscht mir noch viel Spaß. Ich will euch eine gute Heimreise wünschen, aber ich lächle breit und bekomme nur ein “Danke” heraus und ihr schlängelt euch durch die Masse, Richtung Eingang, hinaus aus dem Saal.

Fiva’s Show geht weiter, als wäre nichts gewesen, als wäre alles gleich wie vorher. Ich lasse mich auf ihren Wellen schaukeln und erwarte während dem drittletzten Song ungeduldig die Pause. Mein Hals schmerzt, das Schlucken versetzt mir einen Stich. Ich muss oft Schlucken. Als alle von der Bühne gegangen sind, drängle ich nach draußen an die Bar. Ich bestelle mir nach kurzem hinundherüberlegen eine überteuerte Cola, denn die kommt mir immerhin billiger als eine leere Semmel und ein Becher gespritzen Weißweins. Mit meinem prickelnden Zuckerwasser gehe ich zurück in den Saal, nachdem ich mein Geldtäschchen zurück in den Beutel gestopft habe. Dort setze ich mich vorne auf den Boden, fast ganz in die Mitte. Ich fühle mich ein bisschen unwohl inmitten all der Grüppchen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen, doch ich werde nicht panisch und beobachte auch nicht die zuckigen Bewegungen, die ich für gewöhnlich mache, wenn ich unsicher werde. Heute fühle ich mich fast wohl. Ich habe eure Worte im Ohr und Fiva’s Fröhlichkeit im Körper.

Weil ich Stift und Papier nicht dabei habe, krame ich mein Handy aus dem Beutel und drücke mit dem Daumen auf die “Hometaste”, um es zu entsperren. Mit einem Tip auf die entsprechende App öffnen sich meine Notizen. Ich beginne eine neue, schreibe einen kurzen Text hinein, den ich euch, meinen vorherigen Begleiter_innen, aus Übermut schicke.

Ich habe ein schwieriges Verhältnis zu meinen Texten, aber ich schreibe gerne. Der Colabecher ist leer. Bevor ich Aufstehe, um den Becher an der Bar gegen fünzig Cent Pfandgeld umzutauschen, stopfe ich das Handy in meine Hosentasche und schultere den Beutel. Ich fühle mich ein bisschen schick. Auf dem Weg zurück in den Saal unterbreche ich das Gespräch eines Türstehers und einer Türsteherin und frage ihn nach dem Weg zum Hafen, denn ich werde später den Bus von dort nehmen müssen. Aus Unsicherheit spreche ich ihn mit “Sie” an und werde von ihm ein bisschen dafür geschimpft. Das finde ich sympathisch. Ich lächle schüchtern und bedanke mich einige Sekunden später für die Wegbeschreibung. Mit weichen Schritten bewege ich mich nun wieder in Bühnennähe und setze mich, solange das Licht im Saal brennt. Schließlich wird es dunkel. Annie Clark aka St. Vincent lässt auf sich warten, ihre Band spielt eine Melodie, die es mir erlaubt, mich sofort in ihr zu verlieren. Die Schallwellen bewegen sich im Raum und die Musik in meinem Kopf bringt den Körper zum Schwingen. Als St. Vincent, die ein edles Kleid und zerrissene Strumpfhosen trägt, schließlich mit ihren typischen, von mir bewunderten Bewegungen die Bühne betritt, bin ich froh, geblieben zu sein.

Und doch bin ich irgendwie nicht da, ich fühle mich in mir selbst versunken und gleichzeitig über den gesamten Raum verteilt. Wummernde Gitarrenriffs brettern durch den Saal, die Keybordnoten tanzen auf und ab, die Lautstärke steigt, die Menschen jubeln. Ich auch.

Ein Text von Marlene Fally

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