Interview mit Sabine Derflinger
Die Feste auf der Burgruine Wartenburg, gedümpfelt werden im Freibad, das erste Fortgehen auf der Maidult und eislaufen beim Tennisplatz – Erinnerungen an eine Jugend in Vöcklabruck. Die Jugend von Sabine Derflinger, die in den 80er Jahren ausgezogen ist, um ihrer Berufung zu folgen und Regisseurin zu werden. In einer Zeit, als Frauen in diesem Geschäft noch rarer waren als heute, Bruno Kreisky gerade zurücktrat und die Geburt des Internets unser Leben nachhaltig verändern sollte.
Mehr als 30 Jahre später, am 4. April, bekommt Sabine Derflinger für ihren Tatort „Angezählt“ den Grimme-Preis verliehen, die wohl renommierteste Auszeichnung im deutschsprachigen Fernsehen. Mittlerweile pendelt die gebürtige Vöcklabruckerin zwischen Berlin, ihrem temporären Daheim, und Wien, Sitz ihrer Produktionsfirma, hin und her. Aber angekommen ist sie dabei noch nicht, denn „das ist alles nur eine Zwischenphase.“
Wo wohnen Sie im Moment, beziehungsweise wie oft sind Sie noch in Österreich?
Ich pendle zwischen Wien und Berlin, je nach Projekten.
Und was würden Sie als ihr „Daheim“ bezeichnen?
(lacht) Gute Frage. Im Moment Berlin, weil in Wien hab’ ich ein Büro, in dem ich wohne (lacht).
Das ist also mehr beruflich?
Ja, im Moment.
Vermissen Sie den Attersee hie und da?
Ja! (lacht) Absolut! Also so schön Berlin ist, die Natur, und ja, den Attersee, den vermiss’ ich. Aber heuer im Sommer war ich dort und hab’ da meinen Geburtstag gefeiert.
Haben Sie noch einen Bezug zu Vöcklabruck? Also zum Beispiel durch Familie, Freunde, … oder Ähnliches?
Meine Familie ist da, also meine Eltern leben in Vöcklabruck und mein Bruder lebt mit seiner Familie in Ohlsdorf. Also natürlich komme ich da noch öfter auf Besuch.
Wann sind Sie das erste Mal mit Film in Berührung gekommen? Ich habe gelesen, dass sie während Ihrer HAK-Zeit das erste Mal Regieassistentin waren?
Genau, in Vöcklabruck (lacht), da habe ich mich das allererste Mal bei einem Casting vorgestellt, da war ich 8 Jahre alt. Aber später dann, mit 18 – die haben so einen geförderten deutschen Film gemacht – da hab’ ich das erste Mal Regieassistenz gemacht. Die Regieassistentin ist ausgefallen und die haben mich angelernt quasi. Normalerweise ist das ja ein Beruf, bei dem man lange braucht, bis man den erlernt, aber mich haben sie da angelernt und das war der erste Kontakt.
Also gereizt hat Sie der Film, das Theater, immer schon?
Es war immer klar, dass es etwas Kreatives sein muss. Ich glaube ich hätte das nicht formulieren können, also es gab verschiedene Dinge: Einmal habe ich gedacht, ich könnte Schauspielerin werden. Dann war es schon so, wir hatten daheim ja ein Modegeschäft, da habe ich mir Kostüme anfertigen lassen, in der Dekoration und vom Schneider. Und ich habe dann immer bei mir daheim so Sachen veranstaltet, wo meine armen Freundinnen mitspielen mussten und irgendwelche Leute in der Umgebung mit Schaffellen aus dem Schlafzimmer herum marschieren mussten. Aber all das ist mir erst im Nachhinein bewusst geworden. Also jetzt ist es total klar, dass sich mein Weg damals schon abgezeichnet hat, aber damals war mir das nicht bewusst.
Wodurch haben Sie dann ihren „Durchbruch“, wenn man es so nennen will, geschafft?
Ich bin ja nach Wien gegangen und habe dort relativ schnell in der Produktion gearbeitet, weil ich dann doch nicht sicher war oder gezögert habe. Also man muss sich das vorstellen, damals, Anfang der 80er Jahre… Heute gibt es Videokameras, Menschen machen Filme, das ist irgendwie was Normales, und man macht auch privat schnell einen Film und geht in eine Castingshow und ich weiß nicht was. Aber damals war ja die Idee, als Frau Filmregisseurin zu sein, wie am Mond fliegen. Es gab zwar ein paar österreichische Regisseurinnen, die habe ich mir dann immer im Nachspann angeschaut… Ja so war das dann, dass ich lange in der Produktion gearbeitet habe und dann habe ich angefangen, dokumentarisch zu arbeiten. Durch politisches Engagement kam dieses Zutrauen, also wenn einem das Thema wichtig ist, dann kommt das Zutrauen, dass man darüber einen Film macht.
Und dann war die Filmakademie und – also die Dokumentarfilme waren auch erfolgreich, ein Film über Schubhaft, „Achtung Staatsgrenze“ – aber mein erster Spielfilm „Vollgas“ hat halt dann einen Preis bekommen, in Saarbrücken. Also das war vielleicht der größte Durchbruch, die erste internationale Anerkennung, dass der Film den Max Ophüls Preis bekommen hat.
Mit Spielfilmen ist es ja wahrscheinlich einfacher, kommerziell erfolgreich zu werden, oder zumindest bekannter.
Ja, weil beim Dokumentarfilm muss man schon sehr große oder sehr radikale Projekte machen, dass das geht. Und da haben sich auch die Zeiten geändert. Damit man im Dokumentarfilmbereich Anerkennung bekommt, muss man schon breitenwirksame Dokumentarfilme machen, die entweder eine Spielfilmstruktur haben, oder eher wie ein Sachbuch funktionieren, also „We feed the world“ oder so. Aber sozusagen dieses ursprüngliche dokumentarische Arbeiten, das Beobachten, das ist eher weniger breitenwirksam, abseits von Festivals.
Ganz im Gegensatz dazu ist ja der Tatort eine sehr breitenwirksame Spielfilmvariante, bzw. Serie in Spielfilmlänge. Was reizt Sie so an diesem Format?
Naja gerade das, weil man in Kommunikation mit vielen Menschen gerät, und der Film immer einen Diskurs auslöst, ganz egal ob er wahnsinnig erfolgreich ist oder polarisiert. Es gibt dann Feedback und Menschen, die das anschauen, das ist in jedem Fall befruchtend, ganz egal auf welche Art. Und der andere Punkt ist, dass natürlich das Format schon bestehende Figuren hat, mit denen man arbeiten kann. Und wenn man dann noch Glück hat und eine tolle Geschichte bekommt – umso besser.
Bei den Österreich-Tatorten, haben Sie da Drehbücher vorgegeben bekommen oder waren die quasi „work in progress“?
Das erste Drehbuch mit den Chinesen war vorgegeben, wobei wir das aber schon noch weiterentwickelt haben. Und das zweite, wo der Grimme-Preis kommt, das war meine Mit-Idee, weil ich mir gedacht habe, was könnten wir da jetzt machen und wo kenne ich mich aus in meinen Themen… Und dann haben wir gemeinsam – Martin Ambrosch hat das bulgarische Milieu vorgeschlagen, ich habe gesagt, ich möchte etwas mit Prostitution machen, weil da kenne ich mich aus und das ist außerdem Bibis Backstory, Martin hat gesagt er hat etwas im bulgarischen Milieu recherchiert – und so kam eins ums andere und gemeinsam mit dem Redakteur kam die Idee. Martin hat dann noch die Vatermord-Geschichte eingefügt und weiterentwickelt, aber es war unsere gemeinsame Idee.
…und offensichtlich ja sehr erfolgreich! Am Freitag wird Ihnen der Grimme-Preis verliehen, was wird sich für Sie damit ändern?
Ich hoffe, dass ich noch bessere Angebote bekomme – bessere, also gute Drehbücher. Dass man mir gute Drehbücher schickt! (lacht) Und sonst, naja,… eh, die guten Drehbüchern und die guten Projekte. Und das geht halt auch stärker im gesamten deutschen Sprachraum, also nicht nur in Österreich.
Haben Sie ein Wunschprojekt im Kopf, das noch offen wäre, ein Non-Plus-Ultra?
Nein, ich möchte einfach gern einen schönen Spielfilm machen, mit einem absolut schönen Buch.
Um noch einmal kurz zurückzukommen zu Vöcklabruck – welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Schulzeit, welche prägenden Eindrücke?
Puh, viele… (denkt nach) Also in der Jugend waren da immer diese Feste auf der Burgruine Wartenburg… (lacht)
… die es leider nicht mehr gibt.
Die gibt’s nicht mehr? Das was ich nicht, aber das war schon immer aufregend. Lange Regenzeiten im November am Schulweg, immer zu spät kommen… (lacht) Irgendwann hab ich dann ein Mofa gehabt, aber ich glaube ich war jeden Tag zu spät… Mein Gott, in der Schulzeit, was haben wir noch gemacht… Die Maidult natürlich – möglichst lange hinaus schinden, dass man möglichst lange bleiben darf, auf der Maidult…
Ich denke das sind die ganz typischen Dinge für das Vöcklabrucker Leben.
Ja, wahrscheinlich… Eislaufen gab es auch noch im Winter, am Tennisplatz, wo sie gespritzt haben. Dümpfeln, sich von den „Buam“ in der Schwimmschule dümpfeln lassen und glauben, das ist Verliebt-Sein… (lacht) Ja, so halt…
Abschließend, denken Sie manchmal darüber nach, wieder aufs Land zurückzukehren, wenn es einmal ruhiger wird, oder ist das keine Option mehr?
Hm, also wie ich da im Sommer am Attersee war, habe ich mir schon gedacht, die Gegend ist so wahnsinnig schön. Aber nein, es ist keine Option mehr. Aber wo ich einmal daheim sein will, das weiß ich nicht. Im Moment fühle ich mich noch nicht wirklich angekommen, dort wo ich bin, in Wien oder Berlin. Ich glaube das ist alles nur eine Zwischenphase.
Das ist ein sehr schönes Schlusswort, ich bedanke mich für das Gespräch!
Sabine Derflinger wird 1963 in Wels geboren. Sie wächst in Vöcklabruck auf, wo ihre Eltern ein Bekleidungsgeschäft führen, und besucht die HAK Vöcklabruck. 1983 rutscht sie in die Rolle der Regieassistentin hinein, arbeitet bis 1996 in der Produktions- und Regieassistenz und studiert schließlich von 1991 bis 1996 Buch und Dramaturgie an der Wiener Filmakademie.
Neben Dokumentarfilmen wie “Achtung Staatsgrenze” und “Eine von 8″ führt sie bei den Spielfilmen “Vollgas”, “42plus”, “Kleine Schwester” und “Tag und Nacht” Regie und dreht für ORF und ARD Serien wie den „Tatort“ (“Borowski und das Meer”, “Angezählt”, “Falsch verpackt”), “Vier Frauen und ein Todesfall” und “Paul Kemp – alles kein Problem”. Sabine Derflingers nächstes Projekt ist die neue ORF-Serie “Vorstadtweiber”, danach dreht sie “Himmel über Burma”, ein Biopic über eine Kärntnerin, die in den 60er-Jahren eine Shan-Prinzessin in Burma wurde.
Interview von Katia Kreuzhuber